“Das Leben des Brain” – so heißen der Newsletter und Podcast von Autor Bent Freiwald über Neurowissenschaft und Erkenntnisse über unser Gehirn. Das wäre auch ein Titel gewesen, der zusammenfasst, was das Buch beschreibt. Das Leben bzw. der Alltag eines Gehirns. Damit ist nicht gemeint, dass es in unserer Gehirnflüssigkeit schwimmt, sondern wie es in deinem Alltag arbeitet.
Auf 301 Seiten nimmt Freiwald dich mit durch einen ganz normalen Tag. Nachts schlafen wir, irgendwann wachen wir auf, müssen aufstehen und uns womöglich um Frühstück kümmern. Für die Mehrheit der Menschen geht es dann zur Arbeit und zur Mittagszeit denken wir womöglich über einen Mittagsschlaf nach: Wenn meist auch nur sehnsüchtig. Nach dem Feierabend gehst du vielleicht ins Fitnessstudio, triffst dich danach mit Freund*innen in einer Bar und es gibt ein oder zwei Gläser Alkohol deiner Wahl. Vernünftig und früh verabschiedest du dich, machst es dir zu Hause bequem und liest noch ein paar Seiten in deiner aktuellen Lektüre, bevor der Tag so endet, wie er anfing: Schlafend. Herzlichen Glückwunsch, ich habe dir einen Tagesablauf dargelegt. Wie unspektakulär!
Freiwald nutzt jedoch all diese alltäglichen Situationen und Momente, um den Blick viel tiefer in dich bzw. deinen Kopf zu werfen: Was geht in deinem Gehirn ab, wenn du schläfst und träumst? Warum wachst du auf? Was macht ein Spaziergang zur Arbeit mit dem Gehirn? Wie wirkt sich ein Mittagsschlaf auf uns aus? In 55 Kapiteln geht er diesen und weiteren alltäglichen Fragen auf den Grund – aus neuropsychologischer Sicht.
Das Buch ist in seiner Gesamtheit sehr zugänglich und einfach verständlich. Schon aufgrund des roten Fadens eines Tagesablaufs kann der eigene Bezug einfach hergestellt werden. Aufstehen? Hey, das tue ich auch! Jedes Kapitel ist kurzweilig und interessant und um einige Aha-Momente wird man als Leser*in nicht vorbeikommen. Das Thema ist anspruchsvoll und trotz der nicht immer für alle Menschen zugänglichen Neurowissenschaft schafft es Freiwald jeden noch so komplexen Vorgang in Körper und Gehirn herunterzubrechen und einfach zu erklären. Als Psychologe waren mir manche der Erklärungen sogar zu einfach und zu stumpf, wäre mir ein höheres Niveau doch auch noch verständlich gewesen. Umso besser also für all die Lesenden, die keine Kenntnisse zum Thema mitbringen.
Und damit es nicht einfach nur eine Aneinanderreihung von Frage-Antwort-Spielen ist und eine wissenschaftliche Erkenntnis nach der nächsten folgt, schreibt Freiwald in einer sympathischen und direkten Art, die mich manchmal an ein Gespräch erinnerte. Als säße mir ein Mensch gegenüber und würde mir es genau so erklären, wie es da steht. Manchmal erzählt der Autor die Situation aus seinem Alltag, mal tauchen Kolleg*innen auf – wie der stets zur Arbeit spazierende Martin Gommel! Vielleicht hätte ich mir manchmal einfach mehr gewünscht, inhaltlich und neurowissenschaftlich. Interessant und gut zu lesen war das Buch – aber nicht lebensverändernd. Aber vielleicht ist das auch zu viel erwartet von einem Buch über neurowissenschaftliche Erkenntnisse.
Wer sich in alltäglichen Situationen immer mal gefragt hat, was das Gehirn so treibt oder wie man es gegebenenfalls sogar aktiv beeinflussen kann, der möge das Buch lesen. Es ist verständlich, unterhaltsam und kurzweilig genug für Zwischendurch. Und vielleicht findest du dich nach all dem Wissen aus dem Buch danach in deinem Alltag wieder und denkst dir: Ach, deshalb mache ich das so! Denn das Wissen, was in Körper und Gehirn so abgeht, schafft entweder Verständnis für all das, was wir vielleicht nicht (gleich) ändern können oder eine Möglichkeit, es eben doch zu ändern.
Das Buch erschien 2025 im Verlag Kiepenheuer & Witsch [zum Verlag]. Das dem Rezensenten vorliegende Exemplar wurde selbst gekauft.