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Brandts Kritik und die positive Psychologie

Die Positive Psychologie ist seit Anfang der 2000er präsent in der psychologischen Wissenschaft und breiten Teilen der Gesellschaft. Egal ob außerhalb meines Psychologiestudiums oder mittendrin: Daran vorbeizukommen ist schwierig. Immer wieder hinterlässt das, was die positive Psychologie (PP) postuliert oder vielmehr die Art, wie sie es bespricht, ein Gefühl der Abwehr in mir.

++Das mir vorliegende Exemplar ist ein kostenloses Rezensionsexemplar++

In ihrer 2024 beim Psychosozial-Verlag veröffentlichten Dissertation ‘Kritik der positiven Psychologie’ beschreibt Dr. Senta Brandt sehr ausführlich, was es mit der Positiven Psychologie (PP) auf sich hat. Mit einem ähnlich biografischen Interesse wiederholter Begegnung zwischen ihr und der PP beginnt Brandt ihre Reise und nimmt uns mit. Dabei geht es nicht nur darum, was die Positive Psychologie genau ist und was sie vertritt, sondern auch, wie sie historisch heranwachsen konnte – und durch wen: ‘Urvater’ Martin Seligman.

Denn Brandt zeigt in der Geschichte der PP eben auch die Geschichten einiger Figuren auf: Die Biografie Seligmans, sein Werdegang in der Psychologie, Hintergründe für sein Interesse. Auch Mihály Csíkszentmihályi als Bekannter Entdecker des ‘Flow-Zustandes’ darf hier nicht fehlen. Bei Seligman wiederholt sich im Buch vermehrt seine Aussage, dass er als Psychotherapeut zwar die negativen Aspekte bzw. Symptome behandeln konnte, in der Symptomfreiheit dann aber ‘leere Menschen’ vor ihm säßen. In ihm wuchs die Idee, dass die Abwesenheit von Negativem nicht gleich das Positive mit sich bringt und es wichtig ist, explizit auch das Positive zu erarbeiten! So war – in Kurzfassung – die PP geboren als ein Gegenentwurf zur ‘negativen Psychologie’. Als solche wird die bisherige Psychologie bezeichnet, sie sei rein auf Negatives, psych. Störungen, Dysfunktion usw. fokussiert. 

Einmal davon abgesehen, dass die Psychologie auch vor der PP nie einen ‘Fokus auf Negatives’ hatte, wird hier auch ein Problem klar, dass Brandt in dem Werk aufzeigt: Was „das Positive“ nun sein soll, ist unklar. Geht es um einen Positivismus, also die wissenschaftliche Überzeugung an eine subjektunabhängige, objektive Faktenwirklichkeit? Geht es um „Positives“ im Sinne von Gutem und Angenehmen? Doch 

„[…] Die sogenannte negative Psychologie und das Schwächen/Pathologie-Modell existieren nicht als solches vor Seligman[…]“

(Held, 2004, zitiert nach Brandt, S. 200)

So wie Seligman davon spricht, als Erster das Positive in den Blick zu nehmen, so betont Brandt in ihrem Werk die Position der humanistischen Psychologie. Verständlich und kritisch führt sie durch diesen Konflikt: Wie verhalten sich HP und PP zueinander, welche Schriften mit Bezug zueinander gab es, wie findet Anerkennung oder Ablehnung statt? Ein spannender und interessanter Einblick in einen Diskurs, der in meinen Augen sich unfassbar unnötig anfühlt. 

‘Das Positive’ findet in den Gedanken der PP, wie Brandt sie ausführlich bespricht und mit zahlreichen Textstellen aus Lektüren, Vorträgen und Co. belegt, viel Platz. Wohlbefinden soll gesteigert werden, sagt die PP. Seligmans PERMA-Modell nutzt diese fünf Faktoren, die jeden Menschen glücklich machen sollen: Positive Emotions, Engagement, relationships, meaning, accomplishment. In Brandts Überlegungen wird jedoch klar: ‘positiv’ ist kein external verfizierbarer Standard. Und die Idee, dass alle Menschen – zeit- und kulturübergreifend! – dieselbe Lebenszufriedenheit anstreben, ist zu verwerfen. Dabei wird in den Ideen, Theorien und Texten der PP immer wieder klar, dass hier die Grundannahme einer richtig/falsch Dichotomie existiert. Wenn es darum geht, was dem Menschen guttut und Wohlbefinden steigert, dann wird es zumeist normativ und präskriptiv beschrieben. 

Die geschichtliche Einordnung der PP zeigt die Verstrickungen einzelner Personen, die prestigeträchtigen Treffen an schönen Urlaubsorten, das Involvement reicher, einflussreicher (und nicht psychologischer) Personen. Auch das US-Militär – bzw. das Departement of Defense –  darf hier nicht fehlen.  Abseits der Zentrierung aus die USA und Seligmans Person und Wirken findet auch ein Blick nach Deutschland statt. An welchen Universitäten findet die PP unter welchen Personen statt? Was macht die PP an Schulen in Deutschland, welche Rolle spielen ihre Gedankengüter auch in der Bundeswehr?

„Nach meinem […] Verständnis ist die PP nicht einfach nur eine Wissenschaft, sondern auch als Weltanschauung und Ideologie zu betrachten […].“

(Brandt, S. 319)

Das Werk ist sprachlich durchaus komplex und nicht immer einfach zu verstehen; auch Vorwissen über Psychologie als Wissenschaft ist hilfreich oder notwendig. Brandt schreibt in einer nüchternen, fachlichen sowie – in meiner Lesart – kritischen Art. Der Inhalt folgt einer gut verständlichen Struktur, einem leicht zu folgenden roten Faden: Eine kurze Einführung in die PP und Seligman (Kap. I), ein historischer Abriss über die Anfänger der PP (Kap. II), ein umfangreiches Hin und Her zwischen HP und PP, mit allem, was wissenschaftlich zu den Psychologien dazugehört (Kap. III) und abschließend die Potenzialanalyse mit dem Blick darauf, ob die ‘Mission’ der PP gelungen ist – in Seligmans Augen, in faktischen Umständen und ihrer Verbreitung (IV).

Mir kam die PP, wenn ich ihr begegnete, schon häufig unangenehm vor, mit den so häufig zu lesenden Selbstoptimierungsideen, dem neoliberalen „du kannst alles schaffen“ Mindset, der Grundidee, dass der Mensch selbst alles in der Hand hat u. v. m. Wo sind gesellschaftliche Strukturen, hegemoniale Machtverteilungen, Benachteiligungen und Diskriminierung mitgedacht? 

Abschließend liest sich das Buch jedoch durchgehend als Kritik an der Positiven Psychologie und vor allem als starke Kritik an Seligman und seinem Handeln. Es ist mir – von der angenehmen Bestätigung meines bisherigen Gefühls über die PP – nun jedoch unklar, wie damit zu verfahren ist. Am Ende des Tages tun wir alle gut, kritisch zu bleiben. Gegenüber Studien, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Wissenschaftler*innen. Wissen als solches existiert immer auch im Kontext seiner Zeit, seiner Gesellschaft, deren Interessen und Geldgeber. Doch sicherlich können auch Erkenntnisse oder Ideen der positiven Psychologie mitgedacht und erweitert werden – außerhalb ihrer Sphären.


Brandt, S., & Straub, J. (2024). Kritik der Positiven Psychologie. Psychosozial-Verlag.

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