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Kunst als Copingmechanismus

Kannst Kunst uns helfen, mit Gefühlen, Emotionen und Gedanken umzugehen?

Düstere Straßenecken, einsame Charaktere, dicke Pinselstriche und eine unbeschreibliche Schwere. Ein tragischer Protagonist, getrieben und alleingelassen, von und mit seinen Emotionen. So fühlt es sich manchmal an, wenn ich vor der Leinwand sitze und male. Gefühle einfach aufs Papier bringe. Musik an und dann kommt hier ein schwarzer Strich, da ein dunkelroter Fleck und irgendwann bin ich fertig. Dann schmunzle ich hinterher darüber, weil es sehr nach dem Stereotyp eines emotional getriebenen, einsamen Künstlers/Schriftstellers aussieht, welches man in so vielen Filmen, Serien und Büchern sehen kann. Als kreativer Mensch, der selbst auch mit psychischen Störungen lebt, waren diese Protagonist*innen für mich schon immer wie ein kleiner Spiegel. Ein Spiegel, der mir auch gezeigt hat, dass das mit der Emotionsregulation durch kreative Expression wohl funktionieren muss. Von wem lernen, wenn nicht von den Medien?

Von Gefühlen oder gar psychischen Störungen getriebene Künstler*innen gab es in der Geschichte dutzende. Von Charles Bukowksi, Van Gogh über Virginia Woolf, Amy Winehouse oder Chester Bennington, um einige künstlerische Vertreter*innen mit psychischen Erkrankungen zu nennen. Manchmal scheint es, als seien kreatives Genius, Kunst und Leidensdruck nicht auseinanderzuhalten. Dabei wird hier oft der Wirkmechanismus falsch verstanden: Das Leid oder die Gefühle sind nicht Ursache der Kreativität. Letztere ist nur das Ventil, das den Ausdruck schafft. Wie dieser Text, der meiner Liebe zur Kreativität Ausdruck verleihen soll.

Manche Emotionen, die in uns wohnen, können nicht so einfach ausgedrückt werden. Oder gar nicht erst richtig gefühlt werden. Eine Situation, in der mir die Externalisierung des Ganzen durch Kunst hilft. Vielleicht schreibe ich einen Text über eine*n Protagonist*in, die meine Wut für mich fühlt? Oder in einer ähnlichen Traurigkeit festsitzt, alleingelassen von der Welt? Ein kleiner Schritt mit großer Wirkung, der mich die Gefühle dann endlich erkennen und akzeptieren lehrt. Vielleicht male ich aber auch ein Bild oder fotografiere in der Stadt die Motive, die sich „richtig anfühlen.“ Manchmal, da bin ich hinterher erst schlauer, was meine Gefühlslage oder meine Bedürfnisse angeht.

Eine Erkenntnis, die ich bereits in der Kunsttherapie in einer psychosomatischen Klinik machen durfte. Von der großen Schwierigkeit, als Künstler erst einmal meine Leistungsansprüche abzulegen, einmal abzusehen, war diese Therapieform ein Erlebnis. Tagsüber gemeinsam mit anderen, abends auch gerne alleine in meinem Zimmer: Die Kreativität schafft einen Raum, der nur mir gehört. Einen Raum, der groß genug ist für alle Gefühle. In dem Gefühle nicht falsch, nicht zu viel, nicht unangemessen sind. So malten wir im therapeutischen Kontext also Bilder, mal einzeln, mal gemeinsam an einem Großen. Hier stand nicht nur der Schaffenskontext im Vordergrund, sondern neben ihm auch der Interpretationskontext. Warum hast du im Gruppenbild nur eine kleine Ecke für dich eingenommen? Vielleicht, weil du nicht für dich selbst einstehen kannst oder dich gar in die Ecke gedrängt fühlst von der Präsenz anderer Gruppenmitglieder. Wieso malst du nur einen kleinen Sprössling anstelle eines großen Baums? Ein Kunstwerk wirft so viele Fragen auf wie Sekunden in seinem Entstehungsprozess vergangen sind. Fragen, deren Beantwortung uns uns selbst, unserem Umfeld oder der Welt näherbringen können.

Aber ich wäre hier nicht als vollständige Person der Autor, wenn hier im Text neben dem Kreativen und dem psychischen Kranken nicht auch der Psychologiestudent Platz finden würde. Ein Studienfach, welchem ich mit ähnlicher Neugier und Kreativität begegne. Gefühle gehören zur Psychologie selbstredend dazu – praktisch wie theoretisch (liebe Grüße an jede Statistikklausur!). So führt kein Weg an der Auseinandersetzung mit emotionalen Anteilen in der Kunst daran vorbei, dass Emotionen in unserem (Zusammen)leben Funktionen erfüllen. Sie sind dafür da, dass wir motiviert sind, positive Erlebnisse zu wiederholen und Negatives zu vermeiden. Lassen uns fühlen, was uns wichtig ist. Erinnern uns an Bedürfnisse und persönliche Grenzen. (Müsseler & Rieger, 2017) Leider können wir sie nicht immer so leicht ausdrücken und verarbeiten, wie sie aufkommen. Wenn uns der Chef anschreit oder unfair behandelt, dann können wir leider nicht einfach zurückschreien. Wenn sich die Arbeit türmt und wir uns überfordert und wütend ob der verletzten Grenzen fühlen, dann können wir nicht mitten im Arbeitstag weglaufen. Es braucht andere, konstruktive Formen der Emotionsregulation. Unter dieser können wir die Fähigkeit verstehen, eigenes emotionales Erleben und Reaktionen wahrzunehmen, sie einzuordnen, zu akzeptieren, auszuhalten und zu beeinflussen. (Berking, 2017) 

Das kreative Ausleben über Kunst kann also in Bezugnahme auf diese kurze Definition der Emotionsregulation helfen, unsere Gefühle wahrzunehmen. Vor allem, wenn wir sie im ersten Moment selbst gar nicht fühlen, weil wir sie nicht erlauben oder aus Angst verdrängen oder „übersehen“, dann kann es hilfreich sein, sie woanders zu platzieren. Wenn ich meine Wut male, meine Trauer aufschreibe oder die Einsamkeit fotografiere, dann platziere ich sie außerhalb. Dieser Schritt zurückkann helfen, die Ursache der Gefühle oder ihre jetzige Situation einzuordnen und sie zu akzeptieren. Wie könnte ich mir selbst denn die Trauer absprechen, wenn ich die Trauer auch meinem Gemälde nicht absprechen möchte? Das Bild ist Trauer und das Bild ist von mir, also ist die Trauer auch von mir. Und das ist okay.

Zitierte Literatur und weitere Empfehlungen:


1000 Museums. (2020, Mai 20). 6 Famous Artists who struggled with mental illness. 1000 Museums. https://www.1000museums.com/famous-artists-with-depression/

Berking, M. (2017). Training emotionaler Kompetenzen. Springer Berlin Heidelberg.

Brintzinger, M., Reicherts, M., Tschacher, W., Endtner, K., Znoj, H., & Pfammatter, M. (2020). Emotionsverarbeitung und ihre Veränderung in der Therapie depressiver Symptome: Feldstudie im Rahmen des Modells „Emotionale Offenheit“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 49(3), 147–156.

Müsseler, J., & Rieger, M. (Hrsg.). (2017). Allgemeine Psychologie. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-53898-8Virginia. (2018, June 11). Burning with creativity: Authors who suffer from mental illness. Librarypoint.https://www.librarypoint.org/blogs/post/burning-with-creativity/